Gemeindezentrum Bischofswiesen

Art: einstufiger Realisierungswettbewerb

Architekt: H2M Architekten + Stadtplaner GmbH

Visualisierung: juli Architektur & Design
Tätigkeit: Konzept, Entwurf und Ausarbeitung

Platzierung: 1. Preis

 

 

Idee und Ziele 

Das neue Bürgerzentrum von Bischofswiesen schafft durch den Erhalt des identitätsstiftenden Rathausgebäudes in Kombination mit einem einfachen Neubau differenzierte und qualitätsvolle Innen- und Außenräume in der Ortsmitte. Das vorrangige Ziel das für das Ortsbild prägende Ensemble aus Kirchen, altem Schulgebäude und altem Rathaus bleibt in seiner Struktur erhalten und wird durch einen schlüssigen Neubau ergänzt und vervollständigt.

 

Städtebau 

Das historische Bestandsgebäude, mit seiner besonderen städtebaulichen Position, bleibt in seinem Erscheinungsbild mit den beiden gleichwertigen Hauptfassaden im Ortszentrum freigestellt. Als Schmuckstück auf dem Dorfplatz orientiert es sich zu den beiden Kirchen und wird gerahmt durch den ergänzenden Neubau. Das neue Rathaus fügt sich in den vorhandenen Kontext als klarer, unaufgeregter Baukörper ein und greift die vorhandenen rechteckigen Typologien der evangelischen Kirche und der östlichen Bebauung auf. Es entsteht ein schlüssiges Gesamtensemble mit Kirchen, Schule, altem und neuem Rathaus mit einer zeitgemäßen Gestaltung und einem qualitätsvollen Zusammenspiel aus Gebäude und Freiraum für vielfältige Nutzungen. Durch die Setzung des neuen Rathaus im Zusammenspiel mit dem Bestandsgebäude entsteht eine Zonierung der Ortsmitte und spiegelt räumlich das Leben im Dorf: Festtagsplatz im Westen und Alltagsplatz im Osten.

 

Freianlagen 

Mit dem Neubau des Bürgerzentrums erhält der Rathausplatz eine neue städtebauliche Kante in Richtung der Bundesstraße 20 und damit gleichermaßen eine Stärkung und Inszenierung der Blickbeziehung zu den angrenzenden Sakralbauten und dem nördlich gelegenen Bergmassiv. Während der Neubau die Platzkante bildet, steht der Rathaus-Bestandsbau als Solitär inmitten des Platzes. Bedingt durch die Lage der Eingänge beider Gebäude fungiert der westliche Platzbereich als repräsentativer Vorplatz des Bürgerzentrums mit seinen vielseitigen Nutzungen. Ein Brunnen unterstreicht die Bedeutung des Ortes, schafft - nicht nur für die Gäste des Cafés - einen qualitätsvollen Verweilort und bildet den Abschluss der Fußwegeachse durch den nordwestlich anschließenden Schulcampus. Um diese Situation möglichst wenig zu beeinträchtigen, wird die Tiefgaragenabfahrt im östlichen Teil des Rathausplatzes untergebracht. 12 Besucherstellplätze werden unter einem Baumdach im rückwärtigen Bereich des historischen Rathauses angeboten, ergänzt um 8 weitere im direkten Vorfeld der Grund- und Mittelschule.  Der zukünftige Bildungs- und Kulturcampus, der sich in seinem Kernbereich vom Bahnhof bis zur evangelischen Kirche erstreckt, wird durch die zentrale Positionierung der Schulerweiterung gestärkt. In diesem Zug erhält die Schule einen neuen, stadträumlich klar gefassten, Vorplatz, der von den Schulbussen über die neue Ortsmitte angefahren werden kann. Am Ort der alten Feuerwache entsteht ein Gartenband, das von Schule und Pfarrheim gleichermaßen genutzt und kultiviert werden kann. Die neue Ortsmitte und insbesondere das Schulareal werden deutlich verkehrsberuhigt, und damit für Fußgänger und Radfahrer sicherer und attraktiver nutzbar, durch die Verlagerung der zukünftig 60 Pkw-Stellplätze auf das Grundstück des ehemaligen Hotels „Alpenland Vital“. Neben dem im rückwärtigen Bereich situierten neuen Bürgerplatz und dem daran angebundenen Bildungs- und Kulturcampus lebt der Ortskern Bischofswiesen insbesondere von seinen ortsbildprägenden Gebäuden und Freiräumen entlang der Bundesstraße 20. An dieser Stelle wird vorgeschlagen, die Vorbereiche, Freischankflächen und kleinen Platzsituationen vor der katholischen Kirche und den Gasthäusern zu stärken und gestalterisch aufzuwerten. Insbesondere die Kirche könnte deutlicher in den Straßenraum hineinwirken und damit die Ortsmitte für Gäste und Besucher des Ortes deutlicher spürbar machen. Im Gegenzug sollte angestrebt werden, in den sonstigen Bereichen der Ortsdurchfahrt das Straßenprofil durch begleitende Baumreihen zu fassen, um die räumliche Öffnung an den Platzsituationen herauszuarbeiten und gleichzeitig den Fahrverkehr zu verlangsamen. Zur engeren Verwebung des Ortskerns mit den Bereichen jenseits von Bischofswiesener Ache und Bahnflächen werden in Verbindung mit den Platzaufweitungen entlang der Bundesstraße Straßenquerungsstellen und Fußgängerbrücken über den Fluss vorgeschlagen. Um über diese Brücken hinaus das Erleben des Wassers im Ortskern zu fördern, werden vis-a-vis des Gasthofs „Brennerbräu“ Sitzkanten mit Blick auf das Wasser, Ausrichtung zur Nachmittagssonne, und gegenüber der Straße geschützt durch einen durchgängigen „Baumfilter“, in die Uferböschung eingeschnitten. Das Kulturerleben im Bereich des zentralen Bildungscampus wird somit eingebettet in ein Naturerleben von Bischofswiesener Ache im Süden und den Bergketten nördlich und südlich des Talraumes.

 

Gebäude 

Das bestehende Rathaus von 1929 bleibt in seinem Erscheinungsbild mit steilem Schopfwalmdach erhalten und wird im Innenraum entkernt, Deckenbalken ertüchtigt und energetisch saniert. Die Funktionen Gemeindebücherei und Touristeninformation mit Café werden in dem historischen Gebäude angeordnet und können durch ihre Synergieeffekte wirtschaftlich durch wenig Personal betrieben werden. Der Zugang ist von beiden Plätzen, von einer Seite auch barrierefrei möglich. Das Café bespielt den Festtagsplatz. Der Dachraum mit seinen Kehlbalken wird freigelegt. Es entsteht ein großer Dachraum, der als Lesesaal und für kleine Vorträge und Lesungen genutzt werden kann. Der kompakte und klare Baukörper des neuen Rathauses greift den Typus des oberbayerischen, flach geneigten Satteldach- auses auf und interpretiert diesen in zeitgemäßer Gestalt. Im Inneren ist der Baukörper klar gegliedert in Bürgersaal, Rathaus und Sparkasse. Über das 2-geschossige Foyer werden der Bürgersaal und das Rathaus auf zwei Ebenen erschlossen. Das Foyer dient als funktionaler und gleichzeitig als thermischer Puffer zwischen den beiden Funktionen, falls der Bürgersaal nicht genutzt und beheizt wird. Der Bürgersaal erhält die komplette Raumhöhe des Baukörpers und bespielt durch großzügige Öffnungen den Dorfplatz. Im östlichen Bereich, zum Alltagsplatz orientiert, Reissbeenflienhdent sich der Zugang zur Filiale der Sparkasse. Nebenräume wie Toiletten und Abstellräume, sowie der Zugang zu einer natürlich be- und entlüfteten Tiefgarage befinden sich im Untergeschoss.

 

Fassade und Materialität 

Das alte Rathaus als Schmuckstück der Ortsmitte erhält seine ursprüngliche Putzstruktur und Farbigkeit zurück, Holzfenster und Klappläden werden restauriert bzw. ersetzt und Dachgauben mit Dachdeckung erneuert. Das Erscheinungsbild wird nicht verändert. Lediglich der Zugang auf der Ostseite wird analog der Westseite ausgebildet. Der Neubau erhält, als Kontrast zum gemauerten Bestands- haus eine ortsbildgerechte Holzfassade mit vertikaler Lärchenlattung und Holzfenstern. Das Dach wird der alpenländischen Tradition von Kulturbauten entsprechend mit einer Holzschindeldeckung ausgeführt. Als Analogie zu den Klappläden werden vor den Bandfenstern axial drehbare Vertikallamellen aus Lärchenholz ausgeführt, die Sicht-, Sonnenschutz- und Verdunklungsfunktion gewährleisten Die Lamellen lassen sich einfach per Hand drehen und zum Teil im Türbereich horizontal verschieben, um einen Austritt in den Freibereich zu ermöglichen.

 

Konstruktion und Tragwerk 

Das Bestandshaus wird entkernt, Deckenbalken statisch ertüchtigt und Zwischenwände als Auflager in Holzbauweise ergänzt. Der Aufzug wird als aussteifender Kern in Stahlbeton ausgeführt. Eine Lehmdämmung mit Kalkputz und integrierter Wandheizung im Innenbereich erzeugt durch seine Offenporigkeit ein gutes Raumklima. Das Dach erhält eine außenliegende Dämmung und der Charakter des Dachstuhls im Innern bleibt sichtbar. Bodenbeläge werden mit Parkett ausgeführt. Der Neubau wird als Holzmassivbau mit Holzrippenelementen, Kreuzlagenholzwänden und außenliegender Holzfaserdämmung ausgeführt. Das Treppenhaus und der Aufzug werden betoniert. Der Saal erhält als Auflager der Holzrippenelemente im Dachbereich eine Firstpfette. Im Inneren wirken natürliche Materialien wie Parkett und Naturstein. Die Tiefgarage und das Untergeschoss werden in WU-Stahlbeton mit Flachdecken ausgeführt. Die ggf. erforderliche Tiefgründung wird über Stahlbeton-Rammpfähle vorgesehen.

 

Realisierbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Energie 

Der Betrieb des Rathauses kann während der Neubaumaßnahmen weiterhin im alten Rathaus aufrecht erhalten bleiben. Nach Fertigstellung des Neubaus kann die Rathausverwaltung umziehen ohne Interimsmaßnahmen vorsehen zu müssen. Die Konstruktion und Kompaktheit des Neubaus als vorgefertigter Holzmassivbau lässt eine sehr wirtschaftliche und schnelle Erstellung erwarten, die durch regionale Holzbaufirmen ausgeführt werden kann. Aufgrund der kompakten Bauweise des Neubaus und des hohen Dämmstandard wird ein sehr geringer Heizenergiebedarf benötigt. Große Teile der Energieverluste über Transmission und Lüftung werden durch innere Lasten gedeckt. Um kurzfristigen Schwankungen gerecht zu werden und hohe Vorlauftemperaturen des vorhandenen Nahwärmenetzes zu nutzen erfolgt die Wärmeübergabe über Heizkörper. Auf eine aufwändige Lüftungsanlage wird im Verwaltungsbereich verzichtet. Es werden witterungs- und einbruchsichere Öffnungen für eine Nachtlüftung in der Fassade vorgesehen. Eine Querlüftung erfolgt über Öffnungen im Firstbereich. Das Foyer dient als Pufferraum zwischen Verwaltung und Bürgersaal. Der Bürgersaal erhält ebenfalls schnell reagierende Heizkörper für den Bedarfsfall. Zusätzlich wird eine minimale Lüftungsanlage zur Beheizung und Kühlung des Saals vorgesehen. Bewegliche Fassadenlamellen werden als Blend- und Sonnenschutz in die Fassade integriert. Raumakustische Maßnahmen werden über Holzrippendecken mit Akustikoberflächen abgedeckt. Die Sanierung des Bestandsgebäudes erfolgt unter Maßgabe der Energieeinsparverordnung der Nachhaltigkeit in Detailplanung und Materialwahl. Die vorgesehene Wandheizung wird mit schnell steuerbaren Heizkörpern ergänzt. Eine Lüftungsanlage ist nicht erforderlich.